Einleitung

Während Elektrizität und Magnetismus als Phänomene eher zufällig entdeckt wurden, waren die Funkwellen, mit denen wir uns als Funkamateure beschäftigen, lange Zeit theoretisch bekannt, bevor sie erstmals nachgewiesen wurden. In diesem Vortrag schauen wir uns die interessante Geschichte und die wichtigsten Gleichungen der elektromagnetischen Wellen an. Um die Theorie anschaulich zu machen, dienen Beispiele aus dem Wettergeschehen.

1. Historische Einordnung

Die theoretische Physik hat ihren Anfangspunkt im Jahr 1686 mit der Veröffentlichung der Principia Mathematica durch Isaac Newton, der die Pest-Pandemie in London nutzte, um die bisherigen Überlegungen der damaligen Mathematik zu einer einheitlichen Theorie zusammenzufassen [5].

Mit diesem theoretischen Rüstzeug konnten die Naturgelehrten der folgenden Zeit viele Probleme lösen und die Physik in eine formale mathematische Sprache bringen. 1755 legte Leonhard Euler mit den nach ihm benannten Euler-Gleichungen die Grundlage zur Strömungstheorie, die 1827 von Navier und Stokes verbessert wurden.

Anfang des 20. Jahrhunderts experimentierten Hans Christian Ørsted und Michael Faraday mit Strom und Magnetismus und entdeckten experimentell Zusammenhänge zwischen diesen damals neuen Phänomenen. Nachdem 1820 Ørsted die Ablenkung einer Magnetnadel durch elektrischen Strom zeigen konnte und Faraday 1821 einen einfachen Motor konstruierte, war klar, dass eine Wechselwirkung zwischen Elektrizität und Magnetismus bestehen musste. Faraday hatte keine formale Ausbildung in Mathematik und beschrieb seine Beobachtungen in geometrischer Form [3].

Erst James Clark Maxwell versuchte sich in der konkreten Beschreibung von magnetischen und elektrischen Feldern, indem er sie sich als Flüssigkeiten vorstellte. Begriffe wie Quelle und Flussdichte zeugen von dieser Modellvorstellung. Maxwell versuchte, die bekannten Gleichungen der Strömungstheorie umzuformen und für elektrische und magnetische Felder anzuwenden. Dabei entstanden etwa 20 Gleichungen, von denen in der modernen Formulierung noch vier vorhanden sind.

Maxwells Formalismus ist ein Beispiel für eine sehr gute Theorie: Sie beschreibt und quantifiziert die beobachtbaren Phänomene auf abstraktem Niveau und macht zusätzlich Vorhersagen zu weiteren Phänomenen, die noch nicht beobachtet wurden.

2. Das Wetter

Werfen wir nochmals einen Blick auf die Strömungstheorie, deren prominenteste Anwendung die Wettervorhersage ist1. Konzepte aus der Vektoranalysis, die wir für das Verständnis der Maxwell-Gleichungen benötigen, werden durch das Wettergeschehen in Form von Wolken sichtbar gemacht.

Betrachten wir den Wind, der vom Meer auf das Land weht. Die Bewegung der Luft erfährt auf See eine geringere Reibung als an Land. In der Folge verringert sich die Windgeschwindigkeit. Entlang der Küste strömt nun mehr Luft hinzu, als abfließen kann. Die Luft muss aber irgendwo hin, da wir sie nicht beliebig komprimieren können. Somit muss die Luft aufsteigen. Dabei kühlt sie sich ab (Gasgesetz), und der enthaltene Wasserdampf kondensiert zu flüssigem Wasser – wir sehen Wolkenbildung.

Dieses Phänomen der Küstenkonvergenz verdeutlicht ein fundamentales Prinzip der Strömungstheorie, der Kontinuitätsgleichung:

$$ \nabla \cdot u = 0 \quad (\text{Divergenz}) $$

Diese Gleichung beruht auf der Massenerhaltung und sagt im Wesentlichen aus, dass die Divergenz gleich Null ist. Man sagt auch, das System ist quellenfrei.

Der Höhepunkt der Strömungstheorie und damit die vollständige Bewegungsgleichung für die Meteorologie beruht auf der Navier-Stokes-Gleichung, die in ihrer ganzen Pracht diese Gestalt hat [2]:

$$ \rho\frac{dv}{dt} = -\nabla p - 2\rho\Omega\times v - \rho gk + \nabla\cdot J_{t} $$

Dabei ist:

Mit der Corioliskraft haben wir einen Term, der die Luftströmung senkrecht zur Bewegung ablenkt. Es kommt zu einer Rotation der Strömung, wie wir im Satellitenbild sehen können. Für Bewegungen in dieser Skalengröße dürfen wir den letzten Term für die turbulente Kraft vernachlässigen.

3. Wirbel im Vektorfeld

Um die physikalische Bedeutung der folgenden Gleichungen besser verstehen zu können, sind einige Begriffe aus der Vektorrechnung erforderlich. Diese seien hier kurz wiederholt. Wir gehen hier nicht auf die mathematischen Details der Vektoranalysis ein, sondern wollen uns mit der physikalischen Deutung beschäftigen.

3.1 Skalarprodukt

Das Skalarprodukt ordnet zwei Vektoren eine Zahl (Skalar) zu. Es verschwindet, wenn die Vektoren im rechten Winkel zueinander stehen ($\cos 90^{\circ}=0$).

$$ \vec{a}\cdot\vec{b} = \begin{pmatrix}a_{1}\\ a_{2}\\ a_{3}\end{pmatrix} \cdot \begin{pmatrix}b_{1}\\ b_{2}\\ b_{3}\end{pmatrix} = a_{1}b_{1}+a_{2}b_{2}+a_{3}b_{3} $$$$ |\vec{a}\cdot\vec{b}| = |\vec{a}||\vec{b}|\cos \varphi $$

Aufgabe 1: Wie bestimmt man in kartesischen Koordinaten den Betrag eines Vektors?

3.2 Kreuzprodukt

Das Kreuzprodukt ordnet zwei Vektoren einen weiteren Vektor zu, der senkrecht zu den beiden Vektoren steht.

$$ \vec{a}\times\vec{b} = \begin{pmatrix}a_{1}\\ a_{2}\\ a_{3}\end{pmatrix} \times \begin{pmatrix}b_{1}\\ b_{2}\\ b_{3}\end{pmatrix} = \begin{pmatrix}a_{2}b_{3}-a_{3}b_{2}\\ -(a_{1}b_{3}-a_{3}b_{1})\\ a_{1}b_{2}-a_{2}b_{1}\end{pmatrix} $$$$ |\vec{a}\times\vec{b}| = |\vec{a}||\vec{b}|\sin \varphi $$

3.3 Der Nabla-Operator

Der Nabla-Operator ist ein Vektor, der keine Zahlen enthält, sondern wiederum Operatoren2. Er wurde von William Rowan Hamilton (1805-1865) eingeführt und dient zur mathematischen Darstellungen von Änderungen in einem Vektorfeld.

$$ \nabla = \begin{pmatrix}\partial/\partial x\\ \partial/\partial y\\ \partial/\partial z\end{pmatrix} $$

Eine dreidimensionale Funktion, die für jeden Wert an der Stelle $(x, y, z)$ einen Vektor angibt (z.B. die Windgeschwindigkeit), nennt man ein Vektorfeld. Der Ausdruck $\nabla p(x,y,z)$ würde an der Stelle $(x, y, z)$ die Geschwindigkeitsänderung in die drei Koordinatenrichtungen angeben. Man spricht vom Gradienten (grad).

$$ \vec{\nabla}v(x_{1},...,x_{n}) = \text{grad } v = \left(\frac{\partial v}{\partial x_{1}},...,\frac{\partial v}{\partial x_{n}}\right)^{\top} $$

Aufgabe 2: Wie lautet der Gradient im elektrischen Feld?

Da Nabla selber ein Vektor ist, kann man ihn mit anderen Vektoren, dreidimensionalen Funktionen oder sich selber multiplizieren – sowohl mittels Skalar- als auch mittels Kreuzprodukt.

Das Skalarprodukt $\nabla\cdot F$ nennt man Divergenz eines Vektorfelds, das entsprechende Kreuzprodukt $\nabla\times F$ die Rotation. Alternative Schreibweisen sind:

4. Die Maxwell-Gleichungen

In der heutigen, differentiellen Form lauten die Maxwell-Gleichungen für elektrische Felder $E$ und magnetische Felder $B$:

$$ \nabla\cdot E = \frac{\rho}{\epsilon_{0}} \tag{1} $$$$ \nabla\cdot B = 0 \tag{2} $$

Die Gleichungen (1) und (2) sagen im Wesentlichen nichts anderes aus als die Kontinuitätsgleichungen der Strömungslehre. Die Quelle des elektrischen Felds ist die Ladung, das magnetische Feld ist quellenfrei, oder, anders gesagt: Es gibt keinen magnetischen Monopol.

$$ \nabla\times E = -\frac{\partial B}{\partial t} \tag{3} $$

Gleichung (3) ist das Induktionsgesetz: Ein veränderliches Magnetfeld erzeugt ein elektrisches Feld senkrecht zu den Feldlinien des magnetischen Felds.

$$ \nabla\times B = \mu_{0}\epsilon_{0}\frac{\partial E}{\partial t} \tag{4} $$

Umgekehrt erzeugt ein zeitlich veränderliches elektrisches Feld ein Magnetfeld senkrecht zum Stromfluss. Mikroskopisch gesehen kann man sich Elektrizität als Strom einer Flüssigkeit vorstellen, die kleine Wasserräder in Rotation versetzt, wodurch das magnetische Feld entsteht.

Die Fragestellung wäre jetzt, ob im freien Raum, also unter Abwesenheit von Ladungen, elektrische Felder entstehen können. Wir nehmen also an:

$$ \nabla\cdot E = 0 $$

Wir werden sehen, dass dies möglich ist; einmal erzeugt, können sich E- und B-Felder gegenseitig erhalten. Wir werden das im Folgenden theoretisch ableiten.

5. Die Wellengleichung

Interessant wäre, wenn wir eine Gleichung haben könnten, die nur das elektrische Feld beschreibt. Der Trick ist: Wir erweitern Gleichung (3) auf beiden Seiten „von links her“3 mit dem Kreuzprodukt von $\nabla$:

$$ \nabla\times\nabla\times E = \nabla\times\left(-\frac{\partial B}{\partial t}\right) $$

Den Differentialquotient können wir herausziehen:

$$ \nabla\times\nabla\times E = -\frac{\partial}{\partial t}(\nabla\times B) $$

Nun können wir auf der rechten Seite den Wert für $\nabla\times B$ aus Gleichung (4) einsetzen. Der Differentialquotient lässt sich problemlos quadrieren.

$$ \nabla\times\nabla\times E = -\mu_{0}\epsilon_{0}\frac{\partial^{2}E}{\partial t^{2}} $$

Um die linke Seite der Gleichung zu vereinfachen, verwenden wir folgende Identität für die Rotation der Rotation eines beliebigen Felds $F$, die hier nicht weiter bewiesen werden soll:

$$ \nabla\times\nabla\times F = \nabla(\nabla\cdot F) - \nabla^{2}F \tag{5} $$

Der Ausdruck $\nabla^{2}$ wird als Laplace-Operator bezeichnet. Wenden wir diese Regel an, erhalten wir:

$$ \nabla(\nabla\cdot E) - \nabla^{2}E = -\mu_{0}\epsilon_{0}\frac{\partial^{2}E}{\partial t^{2}} $$

$\nabla\cdot E$ ist im Vakuum und in Abwesenheit von elektrischen Feldern gleich Null, so dass wir den ersten Term eliminieren können.

$$ \nabla^{2}E = \mu_{0}\epsilon_{0}\frac{\partial^{2}E}{\partial t^{2}} \tag{6} $$

Die gleiche Rechnung können wir für das Magnetfeld $B$ durchführen und erhalten:

$$ \nabla^{2}B = \mu_{0}\epsilon_{0}\frac{\partial^{2}B}{\partial t^{2}} \tag{7} $$

Dies sind die Wellengleichungen [4] für die elektrische (Gl. 6) bzw. magnetische (Gl. 7) Welle. Die Wellengleichung war zum Zeitpunkt dieser Entdeckung bereits bekannt; sie hat die allgemeine Form:

$$ \nabla^{2}\Psi - \frac{1}{v_{p}^{2}}\frac{\partial^{2}\Psi}{\partial t^{2}} = 0 \tag{8} $$

Die Phasengeschwindigkeit $v_{p}$, also die Geschwindigkeit, mit der sich die Amplituden fortbewegen, entspricht der Lichtgeschwindigkeit:

$$ v_{p} = \frac{1}{\sqrt{\mu_{0}\epsilon_{0}}} = c \approx 3\cdot 10^{8} \frac{m}{s} $$

Bei allen diesen Gleichungen handelt es sich um Differentialgleichungen, die allgemeine Zusammenhänge beschreiben. Für ein konkretes Problem muss man diese Gleichungen lösen, was nicht immer einfach und oft unmöglich ist4.

Betrachten wir also eine konkrete Lösung der Wellengleichung:

$$ E = E_{0}\sin(k\cdot r - \omega t) \tag{9} $$

Die Bedingung $\nabla\cdot E = 0$ schreiben wir dann als:

$$ (E_{0}\cdot k)\cos(k\cdot r - \omega t) = 0 \tag{10} $$

Damit die Gleichung erfüllt ist, muss das Skalarprodukt $E_{0}\cdot k$ Null sein. Das ist dann erfüllt, wenn der Feldvektor senkrecht zur Ausbreitungsrichtung $r$ steht (Transversalwelle). Eine ausführliche mathematische Erklärung der Lösung dieser Form der Differentialgleichung findet sich unter [1].

Stellt man diese Lösung grafisch dar, sieht man sehr schön, wie die Schwingung zwischen magnetischem und elektrischem Feld senkrecht aufeinander stehen. Die Wellen können auch noch im Raum auf der x-Achse gedreht sein; man spricht dann von Polarisation.

6. Experimenteller Nachweis

Lange Zeit war die Deutung als Wellengleichung ein Rätsel, bis Heinrich Hertz am 13. November 1886 die erste Übertragung einer elektromagnetischen Radiowelle von ca. 80 MHz mittels eines Oszillators zu erzeugen und an einem Detektor wieder zu empfangen5.


Quellenangaben



  1. Liebhaber windschnittiger Automobile werden mir hier widersprechen, der Vergleich mit dem Wetter macht aber vieles einfacher. ↩︎

  2. Die Schreibweise mit den Brüchen (Differentialquotient) geht übrigens auf Gottfried Wilhelm Leibniz zurück, der die Infinitesimalrechnung unabhängig von Newton erfand. Wegen eines Plagiatstreits hatten sich die englischen mit den festlandeuropäischen Mathematikern überworfen und gerieten über Generationen ins Hintertreffen, weil der Leibniz-Formalismus deutliche Vorteile beim Rechnen hat. ↩︎

  3. Das darf man, weil es sich um eine normale Multiplikation handelt, allerdings ist diese nicht kommutativ, d.h. es gilt $a\cdot b \ne b\cdot a$. ↩︎

  4. Ein Beispiel dafür ist die vierte Komponente der Navier-Stokes-Gleichung, die sich numerisch annähern, aber nicht analytisch lösen lässt. Das erklärt auch die Ungenauigkeiten der Wettervorhersage in mittleren Skalen für längere Zeiträume. ↩︎

  5. Der Autor hatte 1992 das Vergnügen, den originalen Aufbau an der Universität Bonn während einer Vorlesung über Experimentalphysik in Funktion zu sehen. ↩︎

Kommentare

Suche starten

Geben Sie Schlüsselwörter ein, um Artikel zu suchen

↑↓
ESC
⌘K Tastenkürzel