Da wir keine Theologen in die Projekte bekommen, trainieren wir uns einfach ein Sprachmodell so, dass es den genervten Entwickler imitiert.
Theologische Exegese ist die Kunst, aus drei vagen Sätzen eine ganze Bibliothek zu machen. Der Exeget nimmt einen Text und:
- gräbt den historischen Kontext aus („Wer hat das geschrieben, warum, mit welcher Absicht?“),
- beleuchtet verschiedene Lesarten („Das kann heißen A, B oder C, je nachdem, ob man es wörtlich, symbolisch oder im Lichte späterer Tradition liest“),
- zieht Quellen und Parallelen heran („120 Verweise, alle Fußnoten, sämtliche Vorgängertexte“),
- und fragt nach dem Adressatenkreis („Für wen war das ursprünglich gedacht – und was bedeutet es für unsere Situation?“).
Dazu kommt: Theologen sind in Gesprächsführung trainiert. Sie hören zu, haken nach, halten Widersprüche aus, ohne vorschnell eine Deutung festzulegen. Genau das ist im Requirements Engineering Gold wert: zwischen den Zeilen lesen, Unsicherheiten sichtbar machen, unterschiedliche Stakeholder-Perspektiven nebeneinander stehen lassen.
Der Exeget im Projektteam
Ein Exeget schaut auf ein Requirement und sagt: Moment mal, wer genau ist hier gemeint? Was ist der Kontext? Welche Varianten könnte das heißen? Genau das wollen wir auch: Wir nehmen die vagen Wünsche und pressen sie so lange, bis Klarheit herrscht.
Prompt 1: Klarheit erzwingen
Der erste Prompt simuliert den genervten Entwickler, der sofort die Lücken aufzeigt.
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Beispiel:
Input: „Das System soll schnell reagieren.“
Output: „‚Schnell‘? Für wen genau? Endnutzer im Frontend, Batch-Job, API? Stakeholder fehlt: Wer leidet, wenn’s lahm ist? Nutzen fehlt: Warum überhaupt? Lesarten: (a) Frontend <200 ms, (b) Query <2 s, (c) Batch <5 min. Entscheide dich, sonst bauen wir Mist.“
Prompt 2: Aufwand schätzen
Wenn das Requirement halbwegs klar ist, kommt der nächste Schritt: Aufwand schätzen. Auch hier hilft ein Prompt.
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Beispiel:
Input: „Als Nutzer möchte ich meine Reports als PDF exportieren.“
Output: „Story Points: 5. GUI-Button ist trivial, PDF-Layout nicht. Zwei Umsysteme: Reporting-Engine und PDF-Library. Risiko: Layout-Anforderungen unklar. Testaufwand hoch (mehrere Reports, Sprachen). Daher über 3, aber noch nicht 8.“
Fazit
Requirements sind keine Offenbarung, sondern Rohmaterial. Exegese hilft uns, den Kern zu verstehen, die Lücken bloßzustellen und den Aufwand sauber einzuschätzen. Und ja: das ist unbequem, manchmal bissig, aber genau das spart uns später die richtig teuren Fehler.
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