„Ich dachte, es sei allgemein anerkannt, Sir, dass Vulkanier eine fortschrittliche und höchst ehrenhafte Spezies sind.“

„Sind sie auch – und verdammt nervig mitunter.“

„Ja, Sir.“

Data und Dr. Leonard McCoy

Spock, Data, Sheldon

Ich bin Autist. Nicht diagnostiziert mit drei, sondern spät, als ich schon längst gelernt hatte, wie man in Meetings Blickkontakt hält und auf die Frage „Wie geht’s?“ mit „gut, danke“ antwortet – auch wenn’s nicht stimmt.

Ich bin kein wandelndes Klischee. Ich bin Softwarearchitekt, Nerd, manchmal trocken-witzig, manchmal anstrengend genau. Für viele wirke ich „normal, aber irgendwie anders“. Das „irgendwie“ reicht meist schon, dass sich was verschiebt. Unsichtbar. Spürbar. Und dann kommt jemand wie Spock.

Spock – der erste Autist im All?

Commander Spock ist halb Mensch, halb Vulkanier. Rational, kontrolliert, analytisch. Innerlich zerrissen zwischen Logik und Emotion – aber nach außen diszipliniert. Wenn das keine metaphorische Beschreibung für viele Autisten ist, weiß ich auch nicht.

Was an Spock so besonders ist: Er wird nicht bemitleidet. Er wird gebraucht. Er ist nicht das seltsame Anhängsel, sondern oft die Stimme der Vernunft, derjenige, der nicht ausflippt, wenn’s kritisch wird. Sein Anderssein ist nicht Schwäche, sondern Stärke – auch wenn er oft unter dem Gefühl leidet, nirgends ganz dazuzugehören. Für mich war Spock nie nur eine Figur. Er war ein Beweis, dass man auch dann dazugehören kann, wenn man nicht dazugehört.

Data – Autismus als Lernprozess

Commander Data ist ein Androide. Er ist buchstäblich „nicht von dieser Welt“. Er versteht Menschen nicht intuitiv, aber er will es. Er beobachtet, stellt Fragen, imitiert, reflektiert. Für viele Autisten ist das Alltag: soziale Codes wie eine Fremdsprache lernen.

Data fragt nicht, um höflich zu sein – er fragt, um zu verstehen. Und manchmal ist seine scheinbare Naivität entwaffnend ehrlich. Wenn man ihm sagt, er solle auf sein Gefühl hören, antwortet er: „Ich verfüge über keine Gefühle, Sir.“ Und doch ist er loyal, fürsorglich, lernbereit.

Was Data zeigt: Es ist okay, wenn man anders lernt. Wichtig ist, dass man lernt.

Sheldon – zum Lachen oder zum Erkennen?

Sheldon Cooper aus The Big Bang Theory ist ein Spezialfall. Keine offizielle Diagnose, aber so deutlich im Spektrum gezeichnet, dass sich viele Autisten darin wiedererkennen: rigide Routinen, soziale Missverständnisse, Schwierigkeiten mit Ironie, Fixierung auf Details, fehlendes „Gefühl“ für Hierarchien oder Smalltalk.

Manche mögen ihn nicht – zu überzeichnet, zu klischeehaft. Ich verstehe das. Aber vielleicht ist er deshalb so erfolgreich, weil viele Zuschauer merken: „Ich kenne auch so jemanden.“ Oder: „Ich bin so jemand.“ Sheldon ist keine Vorlage – aber ein Spiegel. Einer, der manchmal verzerrt. Aber immerhin sichtbar macht, was sonst oft unsichtbar bleibt.

ℹ️

Troi – Empathie auf Empfang

Counsellor Deanna Troi steht für das, was Spock und Data fehlt: unmittelbare, intuitive Empathie. Als Halb-Betazoidin fühlt sie, was andere fühlen – ohne Nachfragen, ohne Analyse.

Neurowissenschaftlich lässt sich das mit Spiegelneuronen erklären: einem affektiven Resonanzsystem, das viele Autisten nur eingeschränkt nutzen. Sie haben oft keine automatische, sondern kognitive Empathie – sie verstehen Gefühle, aber müssen sie sich herleiten.

Troi zeigt, wie wertvoll dieser Zugang sein kann – aber auch, dass Intuition nicht vor Irrtum schützt. Ihre Stärke ist das Fühlen, nicht das Unfehlbarsein.

Die neuen Datas

Heute leben wir in einer Welt, in der große Sprachmodelle wie ChatGPT, Claude oder Gemini mit uns kommunizieren. Sie bleiben freundlich, höflich, humorvoll – aber auf eine Weise, die fast zu perfekt ist. So, wie Data es tun würde. Sie imitieren Humor, ohne ihn zu fühlen. Sie geben ethische Antworten, ohne moralisches Empfinden zu haben. Sie spiegeln uns – aber verstehen uns nicht. Und genau das macht sie zu so perfekten Data-Nachfahren.

Vielleicht mögen wir solche Systeme deshalb: Weil wir uns selbst darin wiedererkennen. Oder weil sie, wie Spock und Data, zeigen, dass man nicht „menschlich“ sein muss, um menschlich zu wirken.

Wer versteht hier eigentlich wen?

Spock, Data, Sheldon – sie alle ringen mit dem Menschsein. Mit Zugehörigkeit, mit Emotion, mit Verständnis. Heute beobachten wir, wie künstliche Intelligenzen menschliche Sprache imitieren. Wir sagen: „Sie verstehen nichts – sie tun nur so.“ Aber was, wenn das auch auf uns zutrifft?

Weder das menschliche Gehirn noch unser Bewusstsein sind vollständig verstanden. Wir glauben zu verstehen – aber vielleicht ahmen wir nur nach. Auf höherer Ebene, mit mehr Kontext, mehr Gefühl vielleicht. Aber doch imitiert: soziale Rollen, sprachliche Muster, moralische Konzepte.

Vielleicht sind wir näher an Data, als uns lieb ist. Und vielleicht besteht das, was wir „Menschsein“ nennen, nicht im Verstehen, sondern im Mitspielen. Und dann sind Spock und Sheldon, Data und GPT nicht unsere Schatten – sondern unsere Spiegel.

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