Wenn Innovation nur in PowerPoint stattfindet, Kritik als Angriff gilt und Führung in Feedbackvermeidung besteht, entsteht ein System, das sich selbst konserviert – und die besten Leute verliert. Eine Analyse mit persönlichen Einsichten aus dem Maschinenraum.

Planloser Manager mit funktionslosem Kompass

Der Fachbereichsleiter spricht viel. Sehr viel. Doch mit jedem Wort sinkt die Hoffnung auf Inhalt. Tiefe? Fehlanzeige. Stattdessen ein konstanter Strom aus Floskeln, Statusupdates und strategischer Selbstbespiegelung.

„Wir müssen das Thema ganzheitlich angehen, strategisch denken, und dann schauen wir, was wir machen können.“ – Woche 1 bis 104, identisch.

Das Problem: Reden ersetzt Handeln. Und Verantwortung wird in die Struktur zurückdelegiert – oder ganz nach oben. Neue Ideen werden nicht geprüft – sie werden neutralisiert. Das Standardargument lautet:

„Das haben wir schon immer so gemacht.“

Diese Haltung ist das Software-Äquivalent zu Asbest: Jahrzehntelang verbaut, später teuer zu entfernen. Und brandgefährlich für alle, die damit arbeiten müssen.

Das Meeting ist vorbei, aber niemand weiß, was beschlossen wurde – außer, dass der Fachbereichsleiter wieder 80 % der Redezeit beansprucht hat. Andere ausreden lassen? Zu riskant – es könnten ja bessere Gedanken sein.

Placebo-Leadership

Der Fachbereichsleiter glaubt an homöopathische Mittel, energetisiertes Wasser und „die Kraft der Vibrationen“. Das allein wäre Privatsache – wenn es sich nicht wie ein Prinzip durch seine gesamte Führungsarbeit ziehen würde.

Wie die Hochpotenz im Wasserglas bleibt von Führung nur ein Erinnerungsmuster übrig. Entscheidungen werden „gefühlt“, Konflikte „aufgelöst“, Verantwortung „transformiert“. Das Ergebnis ist ein System mit ganzheitlichem Vokabular und völliger Wirkungslosigkeit. Kein Wunder: Wer auf Placebos setzt, darf sich nicht wundern, wenn die Symptome bleiben.

Homöopathie in der Führung heißt: Wir verdünnen Kompetenz so lange, bis nichts mehr übrig ist – und verkaufen es als Essenz.

Ziele werden zwar verkündet – aber nicht verfolgt. Stattdessen wird nachträglich der Treffer zur Vision erklärt: Wir schießen aufs Scheunentor – und malen hinterher die Zielscheibe um die Einschüsse. So wird Wirkung simuliert, wo in Wirklichkeit nur Ziellosigkeit mit Ritualen kaschiert wird.

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Maturana und Dawkins: Gene, Meme und Milieu

Humberto Maturana, chilenischer Biologe und Systemtheoretiker, betont die Rolle des sozialen Milieus für kulturelles Verhalten. Seine Definition:

„Kulturelles Verhalten ist die generationenübergreifende Stabilität von ontogenetisch erworbenen Verhaltensmustern in der kommunikativen Dynamik des sozialen Milieus.“

Übersetzt: Menschen lernen Muster durch Erfahrung – und ob diese erhalten bleiben, hängt davon ab, ob das soziale Umfeld sie weiterträgt.

Richard Dawkins wiederum prägte den Begriff Meme als kulturelles Analogon zum Gen: Ideen und Verhaltensweisen verbreiten sich wie Gene – durch Weitergabe, Mutation und Selektion.

Der Unterschied:

  • Gene brauchen biologische Fitness.
  • Meme brauchen ein empfängliches Milieu.
  • Was bei Genen der Körper ist, ist bei Memen die Organisation, das Umfeld, der Kontext.

Ein „gutes“ Mem allein reicht nicht – es muss fallen können, wachsen dürfen, weitergegeben werden.

Kritik ist Krieg

Kritik an der Führung wird nicht reflektiert, sondern sofort mit Gegenkritik gekontert – Reflex statt Reflexion. So wird Feedback zur Bedrohung und die Atmosphäre zur Arena.

„Unser Führungsstil ist offen. Offen für Lob.“

Wer auf Veränderung hofft, bekommt Gegenwind – persönlich, subtil, aber wirkungsvoll. Und irgendwann schweigt das Team. Eines der deutlichsten Zeichen dysfunktionaler Führung ist das konsequente Zurückdelegieren von Verantwortung. Entscheidungen werden vertagt, Probleme nach unten gereicht – aber sobald es um unangenehme Gespräche geht, tritt plötzlich der Sektionsleiter persönlich auf den Plan.

Leistung einfordern? Dafür reicht die Autorität des Fachbereichsleiters plötzlich nicht – das muss dann „die höhere Ebene“ übernehmen.

So entsteht eine absurde Dynamik:

Der Fachbereichsleiter hat keine Führungspersönlichkeit – aber ein „Advanced Study“-Zertifikat in Projektmanagement. Was fehlt an Führungsinstinkt, wird kompensiert durch Seminare mit Titeln wie „Agile Transformation Leadership Essentials“.

Doch Führung ist keine Methode, kein Titel und kein Badge auf LinkedIn. Führung ist Haltung, Charakter, Klarheit. Und genau die fehlt.

Infrastruktur als Selbstzweck

Seit drei Jahren steht der Kubernetes-Cluster bereit – zumindest theoretisch. Praktisch wurde er bereits zweimal neu aufgebaut, zuletzt sogar mit komplett neuer Hardware. Das klingt nach Fortschritt, ist aber in Wahrheit: eine Perfektionsspirale ohne Produkt. Man könnte sagen: Wir bauen einen Flughafen. Aber niemand weiß, welche Flugzeuge starten sollen – oder ob überhaupt jemand fliegen will.

Statt Kunden zu onboarden, wird die Plattform neu gedacht, neu installiert, neu dokumentiert. Und warum? Weil es das Budget hergibt. Und weil niemand fragt, ob es auch den Kunden nützt.

Die Nutzer wären längst glücklich gewesen – mit einer stabilen VM, einem funktionierenden Docker und einem simplen Deployment-Prozess. Aber sie wurden nie gefragt. Stattdessen müssen sie sich anpassen: an Tanzu, an DevOps, an Pipelines, die nie wirklich laufen – aber in der Präsentation gut aussehen. So wird Technologie zur Ideologie – und Kundenorientierung zum Kollateralschaden.

Meme und Gene

Humberto Maturana definierte kulturelles Verhalten einst als „generationenübergreifende Stabilität von ontogenetisch erworbenen Verhaltensmustern in der kommunikativen Dynamik des sozialen Milieus.“ Klingt trocken – ist aber zentral. Denn anders als Gene, die sich biologisch durchsetzen, breiten sich Meme – also Ideen, Konzepte, Verhaltensweisen – nur dann aus, wenn das soziale Milieu sie zulässt.

Ein evolutionär gutes Meme stirbt in einer toxischen Organisation schneller als ein USB-Stick in der Waschmaschine. Innovation ist also nicht nur eine Frage des Denkens, sondern des Rahmens, in dem gedacht werden darf. Und wer diesen Rahmen kontrolliert – kontrolliert, welche Ideen überleben.

Was bleibt?

Am Ende war es nicht das Management, das mich befördert hat – sondern seine Inkompetenz. Nicht sein Vertrauen in meine Fähigkeiten, sondern seine Missachtung derselben. Nicht sein Mut, mir etwas zuzutrauen – sondern mein eigener, zu gehen. Manche Menschen sind keine Mentoren, sondern Schleudern. Sie katapultieren Dich dahin, wo Du wirklich hinwillst.

Immerhin: Meine Kollegen und ich verdanken dieser dysfunktionalen Führung unseren nächsten Karriereschritt.

„We need a name for the new replicator, a noun that conveys the idea of a unit of cultural transmission… I want a monosyllable that sounds a bit like ‘gene’. I hope my classicist friends will forgive me if I call it a meme.“ – Richard Dawkins


Mehr zum Thema in meinem Buch Bytes im Blut – Mein Leben als Informatiker, in Kürze in der zweiten Auflage. Für alle, die zwischen Jira-Tickets, Kafka-Queues und Kulturwandel-Initiativen nicht den Verstand verlieren wollen.

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