Die OODA Loop
Im Luftkampf entscheiden Sekunden. Wer zögert, verliert. Genau dort – in der gnadenlosen Realität des Cockpits – entstand eines der einflussreichsten Entscheidungsmodelle unserer Zeit: die OODA Loop. Ihr Erfinder, der US-Air-Force-Colonel John Boyd, war nicht nur ein brillanter Pilot, sondern ein unbequemer Denker mit dem Spitznamen “40-Second Boyd” – weil er angeblich jeden Gegner in 40 Sekunden vom Himmel holen konnte. Mit dieser Methode. Spoiler: Es geht nicht nur um Jets.
Boyd verstand früh, dass reine Geschwindigkeit nicht ausreicht. Entscheidend ist, wie schnell und präzise man Informationen aufnimmt, sie in einen Kontext bringt, daraus eine Entscheidung ableitet – und dann handelt. Dieses Prinzip hat er in vier Phasen gegossen: Observe, Orient, Decide, Act – die berühmte OODA Loop. Eine Schleife, die man schneller und öfter durchlaufen sollte als der Gegner, um ihm immer einen Schritt voraus zu sein. Ein geistiger Hinterhalt sozusagen.
Beobachten (Observe)
Beobachten klingt banal. Ist es aber nicht. Es bedeutet, den Überblick zu behalten – bei maximaler Informationsflut und minimaler Zeit. Wer sich jemals im Nahkampf mit zu vielen Browser-Tabs, unklaren Jira-Tickets oder Kunden mit Meinungswandel-Tourette wiederfand, weiß: gute Beobachtung ist harte Arbeit.
Orientieren
Die nächste Phase, das Orientieren, ist die kniffligste – und laut Boyd die wichtigste. Hier fließen kulturelle Erfahrungen, mentale Modelle, Intuition und Kontext zusammen. Ein amerikanischer Jetpilot orientiert sich anders als ein russischer. Und ein CTO anders als eine agile Squad-Leitung im dritten Sprint mit Burnout-Tendenz. Orientierung ist nicht neutral. Sie ist geprägt – von Erfahrung, Vorurteilen, Intelligenz und Stresslevel. Je besser wir unsere eigenen Muster verstehen, desto schneller können wir sie gezielt durchbrechen. Oder mit ihnen spielen.
Entscheiden (Decide)
Dann entscheiden. Nicht: abstimmen, vertagen, in Meetings zerreden. Sondern: entscheiden. Auch wenn’s weh tut. Das ist ein Muskel, der trainiert werden will. Wer zu lange abwägt, ist schon durch die Windschutzscheibe der Realität geflogen, bevor er das Excel-Modell fertig hatte.
Handeln (Act)
Und schließlich: handeln. Klingt einfach, ist es aber nicht. Denn Handeln heißt auch: sich exponieren, angreifbar machen, Feedback kassieren. Aber genau dieses Feedback ist das Eingangssignal für die nächste Runde der Schleife. Die OODA Loop ist kein Projektplan. Sie ist ein Prozess. Eine Denkweise. Und ein verdammt scharfes Schwert im Nebel der Komplexität.
Interessanterweise lässt sich Boyds Schleife nicht nur im Dogfight zwischen F‑16 und MiG‑29 einsetzen, sondern auch bei Software-Releases, Geschäftsentwicklung oder Alltagskonflikten. Wer schneller und klüger durch die Loop kommt, gewinnt. Nicht immer, aber oft genug, um zu überleben – und manchmal sogar, um zu glänzen.
Das Spannende an der OODA Loop ist, dass sie keine objektive Wahrheit verlangt. Sie fordert Geschwindigkeit, Adaptionsfähigkeit und kognitive Flexibilität. Wer das meistert, braucht keine perfekten Daten – sondern nur gute Antennen, klare Muster und den Mut, den ersten Schritt zu machen. Oder den nächsten.
Vielleicht ist das die wichtigste Erkenntnis: Es geht nicht darum, keine Fehler zu machen. Sondern darum, sich schneller als der Fehler zu korrigieren. Und den Loop zu schließen, bevor der Gegner überhaupt merkt, dass man schon längst auf dem Weg zur nächsten Entscheidung ist.
Quellen und Links
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In Erinnerung an John Boyd – den Piloten, der uns gezeigt hat, dass man auch am Schreibtisch Manöver fliegen kann.
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