Vertrau mir, ich bin Manager

Vertrau mir, ich bin Manager

August 1, 2025·
Karsten

In einem fernen Land, tief verborgen hinter PowerPoint-Folien und Vorständen in Slim-Fit-Anzügen, existiert eine Welt, in der alles gut ist. Dort glauben Menschen, dass Werte wie Vertrauen, Wirksamkeit, Innovation und Wertschätzung durch Rundmails und Wandposter automatisch ins Unternehmen diffundieren. Sie sprechen von “Purpose” und “New Work” – meist ohne genau zu wissen, worum es dabei geht.

Die Geschäftsleitung gibt oft Werte vor. Doch diese sind keine Wanddeko – Werte sind messbar. Und sie müssen vorgelebt werden. Werte entfalten ihre Wirkung nicht durch Appelle an das Team, sondern durch glaubwürdiges Verhalten des Managements.

Vertrauen kann man messen – z. B. an:

  • Grad der Kontrolle: Wie viele Freigaben, Dokumentationspflichten, Rücksprachen?
  • Entscheidungsspielraum: Dürfen Mitarbeitende Entscheidungen treffen, ohne Repressalien?
  • Kündigungsrate: Vertrauen führt zu Bindung. Misstrauen zu Fluktuation.

Wirksamkeit heißt: Tun wir die richtigen Dinge – nicht nur viele?

  • Feedbackzyklen: Werden Impulse aus dem Team aufgenommen oder ignoriert?
  • Reibungsverluste: Wie viel Energie geht durch interne Bürokratie verloren?
  • Zeit bis Wirkung: Wie lange dauert es, bis gute Ideen umgesetzt werden?

Oder ganz konkret: Optimiere ich nur den Verwaltungsprozess oder den Produktionsprozess? Habe ich als Mitarbeiter überhaupt noch Einfluss – oder muss ich nebenher die Arbeit des Kaders mitmachen, während der sich in Aufwandsschätzungen und Technikvorgaben verliert?

Und was ist davon zu halten, wenn das Management Technologievorgaben macht? Etwa so: „Wir haben mit Anbieter XYZ einen strategischen Vertrag und viel Geld bezahlt, also setzen wir das jetzt damit um.“ Auch wenn das bedeutet, dass wir gegen jede technische Vernunft auf eine komplexe Lizenzlösung setzen, obwohl es mit Open Source einfacher, flexibler und besser ginge.

Effizienz entsteht nicht durch schöne Excel-Tabellen oder das Einhalten von Rahmenverträgen, sondern durch Menschen, die verstanden haben, was wirklich zählt – und die das beste Werkzeug für die Aufgabe wählen dürfen.

Innovation ist nicht nur ein Post-it beim Design Thinking Workshop.

  • Fehlerkultur: Darf man scheitern?
  • Invest in Zeit & Raum: Gibt’s Kapazitäten zum Ausprobieren?
  • Anteil inkrementeller vs. disruptiver Ideen: Wird nur optimiert oder auch neu gedacht?

Wertschätzung kann man direkt abfragen – oder eben daran erkennen:

  • Feedbackhäufigkeit: Lob? Oder nur Kritik?
  • Augenhöhe: Wie wird miteinander gesprochen?
  • Verhältnis Reden vs. Zuhören: Wer kommt wie oft zu Wort?

Werte wirken nur top-down durch Vorbild, nicht bottom-up durch Appell.

Innovationsbremse im Tarnmodus

„Nein, wir können nicht Technik/Sprache/Plattform XY nehmen, da kennt sich sonst niemand aus.“

Klingt nach Rücksichtnahme, ist aber oft Angst im Teamoutfit. Was wirklich gemeint ist:

  • „Ich will mich nicht einarbeiten.“
  • „Das steht nicht in unserem Konzern-Wiki von 2014.“
  • „Wir haben Jenkins seit 12 Jahren – das läuft.“

Und dabei ignorieren wir, dass Innovation oft genau dort anfängt, wo sich noch niemand auskennt. Wer Neues verhindert, weil es ungewohnt ist, bleibt stehen – auf vertrautem Terrain, mit veralteten Werkzeugen. Der Satz „Das kennt sonst keiner“ ist keine Sorge – er ist ein Symptom. Und manchmal auch eine Ausrede beim Design Thinking Workshop.

Das Vertrauen, das keins ist

Vertrauen ist der Wert, der am schnellsten in Misstrauen kippt. Beispiel Homeoffice: Solange alles läuft, darf man remote arbeiten. Aber wehe, das Projekt verzögert sich – dann heißt es plötzlich: “Wenn ich euch nicht mehr vertrauen kann, müsst ihr wieder ins Büro.”

So wird Vertrauen zur Belohnung, nicht zur Basis. Und Kontrolle ersetzt plötzlich alle Werte. Das Team merkt schnell: Es geht nicht darum, gemeinsam besser zu werden, sondern um die Illusion von Kontrolle für die obere Etage.

Wertschätzung als KPI
Wertschätzung wird dann zur KPI. Man könnte fast auf die Idee kommen, eine Umfrage zu starten: “Wie wertgeschätzt fühlst du dich auf einer Skala von 1 bis 10?” – mit Konsequenzen für die Führungskraft. Bonusstreichung inklusive. So wird aus weichgespültem Blabla plötzlich harte Währung. Und plötzlich würde sich jeder Manager erinnern, wie man bitte sagt und was ein Gespräch auf Augenhöhe ist.

Besonders bitter wird es, wenn etwas schiefläuft – und reflexartig nach Schuldigen gesucht wird. Dabei trifft es fast nie den Manager, der mit minimaler Führungserfahrung plötzlich ins mittlere Management befördert wurde, weil „er sich Mühe gibt“ und jetzt zum Kader gehört. Stattdessen wird der Fehler beim Team verortet: bei den Entwicklern, den Ops-Leuten, denjenigen, die den Laden eigentlich am Laufen halten. Unfehlbarkeit durch Beförderung – eine absurde Idee, die sich erstaunlich zäh hält.

Und nun stellt sich die Frage: Was kann man als Mitarbeiter tun, wenn man etwas bewirken will?

  • Immer „Ja“ sagen und seinen eigenen Streifen fahren?
  • Mit dem Team eine stille Rebellion starten, im Schatten der Confluence-Seiten?
  • Eine wohlformulierte Mail an den Chef vom Chef vom Chef schreiben – in der Hoffnung, dass irgendjemand weiter oben noch zuhört?

Die Antwort ist so unbequem wie ehrlich: Es gibt keine sichere Methode. Aber jede ehrliche, respektvolle Intervention ist ein Risiko, das manchmal Veränderung bringt – und manchmal nur Stirnrunzeln. Wer nichts versucht, hält den Status Quo am Leben. Wer klug stichelt, öffnet vielleicht eine Tür.

ℹ️

Dark Agile und die persönliche Velocity

Wenn der Scrum Master einem einzelnen Entwickler vorwirft, seine persönliche Storypoint-Velocity sei zu niedrig, ist der agile Gedanke endgültig beerdigt. Dann ist aus iterativem Arbeiten ein kafkaeskes Kontrollsystem geworden.

Ich habe früher in Projekten mit Extreme Programming (XP) gearbeitet – das war agil! Pair Programming, Tests vor dem Code, täglicher Austausch mit dem Kunden, keine Meetings um der Meetings willen.

Scrum hingegen wirkt oft wie ein Theaterstück mit schlecht gelernten Rollen: Sprintpläne als Selbstzweck, Standups als Kontrollritual, Velocity als Leistungsnachweis. Statt Vertrauen und Verbesserung geht es plötzlich nur noch um Auslastung und Rechtfertigung.

Scrum ist nicht per se schlecht – aber das, was viele daraus machen, ist einfach nur bäh.

Und dann – mitten in all dem Buzzword-Nebel – gibt es sie doch: Chefs, die wirklich führen. Die Vertrauen nicht nur predigen, sondern leben. Die auch mal sagen: „Ich hab keine Ahnung, was ihr da genau macht – aber ich weiß, dass ihr’s drauf habt.“ Für solche Menschen arbeitet man gern. Und wenn sie gehen, gehen viele mit. Nicht, weil sie Fans sind – sondern weil sie gesehen wurden. Ihr Weggang hinterlässt mehr als eine Lücke. Er hinterlässt ein Vakuum, das kein Scrum-Board der Welt füllen kann.

Klartext in der Kaserne

Zwei Jahre meines Berufslebens war ich Soldat bei der Bundeswehr. Und so widersprüchlich es klingt: Dort herrschte oft mehr Klarheit und echte Wertschätzung als in vielen zivilen Firmen. Feedback war direkt, ungefiltert und ehrlich. Wenn etwas schlecht war, hieß es einfach: „Das war Scheiße! Nochmal!“ – und dann bekam man eine zweite Chance. Keine passiv-aggressiven Mails, keine Flurpolitik.

Wenn es gut war, bekam man Lob: „Sehr gut! Spreche Anerkennung in verschärfter Form aus!“ Und das kam aus Überzeugung, nicht aus Pflichtgefühl.

Auch der soziale Umgang hatte ungeschriebene Gesetze: Dumme Sprüche gegenüber dem Kpompaniechef beim Saufabend hatten keine Karrierefolgen. Was im Offiziersheim passierte, blieb im Offiziersheim. Zeugnisse waren ehrlich, mit klarer Bewertung und ohne zwischen-den-Zeilen-Vergiftungen.

Was viele nicht sehen: Das militärische Befehlswesen ist – entgegen dem Klischee – hoch agil. Im schnelllebigen Krieg kann sich niemand langfristige Projekte leisten. Da braucht es heute einen guten Plan – nicht nächste Woche einen perfekten. Im aktuellen Krieg zwischen Russland und der Ukraine überschlagen sich die taktischen und technischen Fortschritte. Klarer Gewinner aus methodischer Sicht ist die westlich geprägte ukrainische Armee, die sich schon lange von der betonierten sowjetischen Doktrin losgesagt hat.

Verzögerungen kosten Menschenleben. Und man sieht klar die Unterlegenheit der russischen, hierarchischen Doktrin gegenüber der Agilität moderner westlicher Streitkräfte – mit dezentraler Verantwortung, schneller Kommunikation und lokaler Entscheidungsfähigkeit.

Klarheit ist keine Härte – sie ist eine Form von Respekt. Warum geht das im zivilen nicht? Warum ersetzen wir Ehrlichkeit durch Formulierungsakrobatik und Feedback durch Angstkommunikation?

Vielleicht, weil wir verlernt haben, dass Klarheit und Menschlichkeit sich nicht ausschließen. Vielleicht, weil wir glauben, Kultur ließe sich outsourcen. Aber vielleicht, nur vielleicht, reicht schon eine gute Führungskraft, um den Unterschied zu machen. Und bis dahin helfen manchmal ein bisschen Humor – und ein klarer Blick durch den Nebel aus Buzzwords.


Mehr zum Thema in meinem Buch Bytes im Blut – Mein Leben als Informatiker, in Kürze in der zweiten Auflage. Für alle, die zwischen Jira-Tickets, Kafka-Queues und Kulturwandel-Initiativen nicht den Verstand verlieren wollen.