Leise vernetzt

Leise vernetzt

July 15, 2025·
Karsten

Trimesh Screenshot
In der App TriMesh werden die Positionen der Hilfskräfte automatisch eingetragen. Einsatzrelevante Nachrichten und Alarme werden geloggt. Der Führungsstab kann Lagen direkt in der Karte einzeichnen.

Katastrophen treffen nicht nur Menschen und Infrastruktur, sondern auch Netze. Mobilfunkzellen fallen aus, Behördenfunk ist überlastet oder nicht zugänglich – und genau dann wäre Kommunikation entscheidend: Wo ist wer? Was wird gebraucht? Wer ist einsatzbereit?

Hier kommt Meshtastic ins Spiel: Ein quelloffenes Projekt für die direkte Kommunikation zwischen Geräten über das lizenzfreie LoRa-Funkband (in Europa 868 MHz). Die Besonderheit: Geräte verbinden sich automatisch zu einem Mesh-Netzwerk, in dem Nachrichten auch ohne zentrale Infrastruktur weitergeleitet werden – von Node zu Node, teils über mehrere Hops, mit optionalem Speicher (Store & Forward).

Die Vernetzung dient dabei nicht nur dem Austausch von Textnachrichten, sondern auch der Übertragung von GNSS-Positionen, Sensordaten und Telemetrie – verschlüsselt, stromsparend und erstaunlich robust. Und das alles auch noch redundant und weitgehend unauffindbar: Die LoRa-Signale lassen sich – bei richtiger Konfiguration – so weit unter dem Rauschpegel betreiben, dass sie elektronisch kaum aufklärbar sind. Genau deshalb findet Meshtastic zunehmend auch im militärischen oder taktischen Umfeld Beachtung.

Kommunikation, wenn sonst nichts mehr geht

Ich habe mir zwei Meshtastic-Geräte bestellt, eigentlich nur zum Spielen. Doch je länger ich mich damit beschäftigt habe, desto klarer wurde mir: Das ist mehr als ein Hobbyprojekt. Gerade im Bevölkerungsschutz oder für lokale Einsatzleitungen in unklarer Lage bietet Meshtastic eine faszinierende Option. Robust, stromsparend, unabhängig – und im Idealfall vorbereitet, bevor es wirklich nötig wird.

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Ausfall des Behördenfunks

Beim Gletschersturz im Wallis ist das Polycom-Netz teilweise ausgefallen. Der Ausfall wurde durch starke Schneefälle verursacht, die Bäume umknicken ließen und Stromleitungen beschädigten. Dadurch fiel die Stromversorgung aus, was wiederum das Funknetz Polycom beeinträchtigte. Obwohl die Polycom-Antennen über Batterien verfügen, reicht deren Laufzeit nur für wenige Stunden. Nach dem Entladen der Batterien sind Diesel- oder Benzingeneratoren erforderlich, die jedoch aufgrund der unpassierbaren Straßen und des schlechten Wetters nicht rechtzeitig mit Treibstoff versorgt werden konnten.[1]

Infolge des Ausfalls war die Kommunikation zwischen den Rettungskräften im Saastal stark eingeschränkt. Innerhalb des Tals funktionierte das Netz noch, jedoch war die Verbindung nach außen unterbrochen. Dies führte zu Kritik an der Zuverlässigkeit des Polycom-Systems und zu Forderungen nach einer Überprüfung und Verbesserung der Krisenresistenz.

Auch wenn Ausfälle die absolute Ausnahme sind, möchte ich in diesem Artikel von meinen ersten Schritten berichten und den Ideen, wie sich Meshtastic als ergänzender Baustein im Katastrophenschutz einsetzen lässt.

Plattform

Beginnen wir mit der unkompliziertesten Einstiegshardware: dem Lilypad T-Beam Supreme. Diese kompakte Platine bringt bereits alles mit, was für Meshtastic nötig ist – inklusive Display,GPS/GNSS-Modul, LoRa-Chip, Batteriebefestigung für eine 18650-Zelle und USB-Port.

Lilypad T-Beam Supreme
Lily hat gerade ihre erste Nachricht empfangen.

Allerdings will der T-Beam Supreme vor dem ersten Einsatz zunächst mit der passenden Firmware versorgt werden. Das klingt komplizierter, als es ist: Über ein Webinterface kann die Firmware bequem per USB aufgespielt werden. Auf dem Mac war das kein Problem – zumindest beim zweiten Anlauf, nachdem ich beim ersten Mal die falsche Firmware erwischt hatte.

Etwas mehr Geduld brauchte es auf meinem Linux-Laptop mit Fedora Silverblue: Dort sorgten das read-only-Root-Dateisystem und SELinux für zusätzliche Hürden. Zwar ließ sich das meshtastic-flasher-Tool installieren, scheiterte aber an fehlenden Bibliotheken oder Berechtigungen für den Zugriff auf die serielle Schnittstelle. Letztlich war es einfacher, den Flashvorgang auf dem Mac durchzuführen und den T-Beam anschließend normal über USB weiter zu konfigurieren.

Kopplung mit der App: Zwei Klicks ins Mesh

Nach dem Flashen folgt die erste Inbetriebnahme – und die funktioniert erstaunlich unkompliziert. Sobald der T-Beam eingeschaltet ist, lässt er sich per Bluetooth mit der Meshtastic-App koppeln. In meinem Fall war das ein iPhone, aber auch auf Android klappt das ebenso einfach. Die App erkennt das Gerät in der Nähe und bietet die Kopplung an. Zur Bestätigung muss einmalig die PIN eingegeben werden, die auf dem kleinen OLED-Display des Geräts angezeigt wird. Danach ist die Verbindung hergestellt und das Gerät erscheint in der App.

Was dann folgt, ist überwältigend: Die App bietet eine enorme Zahl an Einstellungen. Kanalwahl, Region, Verschlüsselung, Sendeleistung, GPS-Intervall, Nachrichtenrouting, Remote-Admin, Telemetrie, und, und, und.Für Einsteiger ist das zuerst verwirrend, für Technikfreunde ein Paradies.

Screenshot der Meshtastic-App
Die Meshtastic ist sehr großzügig mit Informationen und vor allem an Einstellungen.

Glücklicherweise lässt sich mit den Standardeinstellungen schon einiges anfangen.Zwei Geräte im Mesh verbinden sich völlig problemlos, sobald sie auf demselben Frequenzkanal arbeiten. Nachrichten lassen sich sofort austauschen – ohne WLAN, ohne Mobilfunk, völlig autonom. Und plötzlich fühlt sich das nicht mehr wie ein Spielzeug an, sondern wie ein ernstzunehmendes Kommunikationssystem.

Kanäle, Frequenzslots – und warum man sich am Anfang festlegen sollte

Meshtastic wirkt auf den ersten Blick wie ein Chat für Funkgeräte, doch unter der Haube steckt einiges an Funktechnik. Ein entscheidender Punkt gleich zu Beginn ist die Wahl des Kanals – also die Kombination aus Frequenzslot, Datenrate und Verschlüsselung. Und das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Standardmäßig schlägt die App sogenannte Kanalnamen wie „longslow“ oder „shortfast“ vor. Dahinter verbirgt sich ein deterministischer Algorithmus, der aus dem Namen einen Frequenzslot ableitet – in Europa meist im 868-MHz-Band. Klingt praktisch, hat aber zwei Nachteile:

  1. Die genaue Frequenz sieht man nicht auf Anhieb.
  2. Nachträglich lässt sich der Frequenzslot nicht mehr ändern, wenn der Node bereits Teil eines verschlüsselten Netzwerks ist.

Daher mein Rat: Gleich zu Beginn den Frequenzslot manuell festlegen. Das geht in der App unter den erweiterten Kanaloptionen. Damit weiß man genau, worauf die Geräte funken – was besonders wichtig ist, wenn später andere Nodes ins Mesh eingebunden werden sollen, z. B. über eine zentrale Station oder ein Gateway.

Im Nachhinein habe ich gemerkt, wie wichtig diese Entscheidung ist. Beim Testen hatte ich zwei Geräte in unterschiedlichen Kanälen und wunderte mich, warum sie sich nicht fanden – obwohl alles „grün“ war. Erst ein manueller Abgleich der Kanalparameter brachte die Verbindung zustande.

Auch ein Punkt, der gerne übersehen wird: Wer später Remote-Admin aktivieren will, sollte das tun, bevor das Gerät ins WLAN kommt – denn im WLAN-Modus ist der Node nicht mehr per Bluetooth erreichbar.

Für die Hosentasche

Das zweite Gerät, ein RAK WisMesh Pocket, war endbenutzertauglich. Einschalten, Region einrichten, mit der App pairen und los geht’s. Bei einem kurzen Spaziergang konnte ich die Navigation testen und habe auch einige Nodes in der Nähe (ca. 10km entfernt) gefunden.

WisMesh Pocket
Das WisMesh Pocket funktioniert direkt und ist für die Navigation begrenzt hilfreich.

Gateway

Der T-Beam ist direkt per USB an einem Rechner angeschlossen. Ein Python-Script[2] reagiert auf die Nachrichten und speichert die relevanten Informationen, hier die Positionsdaten:

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def onReceive(packet, interface):
    decoded = packet.get("decoded", {})
    pos = decoded.get("position")
    if pos:
        lat = pos["latitude"]
        lon = pos["longitude"]
        alt = pos.get("altitude")
        print(f"{packet['from']}: {lat} / {lon} / {alt}")

Der Code ist ein Auszug aus den Python-Skripten; der komplette Code ist auf GitHub verfügbar[2].

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Zugriff auf USB unter Silverblue

Unter Silverblue findet die Entwicklung in der Regel in (Toolbox) Containern statt. Nicht immer werden die Schnittstellen in die Container korrekt hereingereicht. Um Zugriff auf mein T-Beam zu bekommen, habe ich eine udev-Regel im Host erstellt; danach war dann auch der serielle Port beschreibbar:

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sudo mkdir -p /etc/udev/rules.d
echo 'KERNEL=="ttyACM[0-9]*", MODE="0666"' |
    sudo tee /etc/udev/rules.d/99-ttyACM.rules
sudo udevadm control --reload-rules
sudo udevadm trigger

Die Skripte sind toll zum Ausprobieren; für die endgültige Implementierung setze ich auf eine robustere Lösung mit Rust, die als Systemdienst läuft und die Daten in einer Datenbank speichert. Die Darstellung erfolgt dann wieder über eine einfache Webanwendung, die den Client ausliefert und den Event-Stream bereitstellt.

  graph TD
  TBeam[LilyGO T-Beam<br>Meshtastic Node] -->|USB / Serial| RustClient[Rust-Client<br>für Meshtastic]
  RustClient -->|parsed packets| SurrealDB[(SurrealDB)]
  RustClient -->|publish JSON| PyApp[Python App-Server]
  PyApp -->|WebSocket| WebUI[WebUI<br>mit Positionsanzeige]

  subgraph Edge Node
    TBeam
  end

  subgraph Zentrale
    RustClient
    SurrealDB
    PyApp
    WebUI
  end

Dadurch kann ich den Verlauf zuverlässig protokollieren, Daten auswerten und die Struktur des Netzes als Graph auswerten – praktisch, wenn ich Aussagen über die Zuverlässigkeit und Funkausbreitung treffen möchte.

Tracking von Strahlenbelastung

In einem radiologischen Ereignis – etwa einem Störfall in einem Atomreaktor – wird die Lagebeurteilung traditionell mit aufwändigen Messflügen durchgeführt. Helikopter oder andere spezialisierte Luftfahrzeuge erfassen die Strahlenbelastung über weiten Gebieten. Das ist teuer, langsam und logistisch anspruchsvoll.

Ein alternativer Ansatz wäre die vorbereitete Nachrüstung bestehender LoRaWAN-Knoten mit kompakten Szintillationszählern[3]. Diese Sensoren könnten im Vorfeld dezentral installiert oder bei erhöhter Bedrohungslage schnell ergänzt werden.

Damit ließe sich binnen Minuten ein erstes Schadensbild der Isotopenausbreitung erzeugen – unabhängig von Strom- oder Mobilfunknetzen. Die Daten könnten per LoRaWAN oder Meshtastic redundant an zentrale Stellen übermittelt werden.

Auch wenn in der Anfangsphase eines radiologischen Ereignisses nicht jede Minute entscheidend ist – denn Gebäude bieten oft ausreichenden Strahlenschutz –, ist eine rasche Lageeinschätzung dennoch essenziell. Je schneller Hotspots, Windverfrachtungen und kritische Isotopenausbreitung erkannt werden, desto zielgerichteter kann der Bevölkerungsschutz handeln – sei es durch Evakuierungen, Jodverteilung oder das Sperren kontaminierter Zonen.

Datacenter in a Box

Passend zu kleinen und Strom sparenden Funk-Knoten sollte auch die Zentrale mobil und vom Stromnetz unabhängig sein. In Zeiten immer leistungsfähigerer Rechner, die Gigawatt in einfache Verzeichnisabfragen und Powerpoint-Illustrationen verheizen, besinnen wir uns auf einfache Linux-Rechner, die mit abgespeckten Kernel und einfachen Binaries Daten im Kilobyte-Bereich verarbeiten. Ich habe die Komponenten so ausgesucht, dass diese mit einer Betriebsspannung von 12 Volt auskommen und keine bewegliche Teile haben. Das Ganze wird in in einem Pelicase in einem Montagerahmen aus Alu-Profilen untergebracht, einschließlich Batterie und Netzwerkkomponenten. Dem genauen Aufbau werde ich aber noch einen eigenen Artikel widmen.

Fazit

Bei Ausfall kritischer Infrastruktur und Kommunikationssysteme können LoRaWAN und Meshtastic nicht nur Teile der Kommunikation aufrechterhalten, sondern auch Sensorik und Datenübermittlung ergänzen.

In Krisensituationen ist kreatives Denken gefragt – und je einfacher und robuster eine Lösung ist, desto flexibler lässt sie sich als Baustein in bestehende Strukturen integrieren. Techniken aus der Open-Source-Community und dem Amateurfunk sind längst über das Bastlerstadium hinaus und bilden heute die Grundlage vieler professioneller Anwendungen. Im Gegensatz zu großen, historisch gewachsenen Systemen wie SS7 ist bei Meshtastic Sicherheit kein nachträglicher Zusatz: Authentisierung und Verschlüsselung sind von Anfang an mitgedacht.

„Im Ernstfall zählt das, was funktioniert“

Quellen und Links

[1] SRF: Zum Polycom-Ausfall

[2] GitHub: Meshtastic Python

[3] Comparison of Geiger Muller Tubes SBM20, J305 and LND712