Atome

May 5, 2024·
Karsten

Bereits in der Antike hatten die griechischen Philosophen die Idee, dass Materie nicht kontinuierlich, sondern aus kleinen, unteilbaren Bestandteilen, den Atomen, zusammengesetzt ist. Diese Atome sollten die Form perfekter Körper haben und die Eigenschaft von der Form abhängen.

Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter, in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum. – Demokrit

Rückblickend muss man sagen: Das ist eigentlich schon mal der richtige Ansatz. Trotzdem hat es mehr als zweitausend Jahre gedauert, bis sich die Idee wirklich durchgesetzt hat. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts waren Atome auch für ernsthafte Physiker kein Thema.

Wenn alle wissenschaftliche Erkenntnis in der Apokalypse zerstört würde und man nur einen Satz an die kommende Generation weitergeben könnte, so sollte es dieser sein: Die Welt besteht aus Atomen! – nach Richard Feynman [@FEYNMAN]

Nachdem zweifelsfrei bekannt war, dass Materie wirklich aus Atomen besteht, kam natürlich die Frage auf, welche Form die Atome haben. Nachdem Physiker begonnen haben, Materie mit Partikeln zu bewerfen, die kleiner als Atome sind1, ergaben sich interessante Muster, die darauf hinwiesen, dass Atome aus einem kleinen (im Verhältnis zur Größe des Atoms) Atomkern und einer Wolke aus Elektronen bestanden. Die Chemie beschäftigt sich mit der Hülle des Atoms, und auch hier fast nur mit der äußersten Schale dieser Hülle.

Wenn wir nur ein grobe Verständnis der Materie anstrebten, würde uns das intuitiv verständliche Bohrsche Atommodell ausreichen. Formal hat es erhebliche Mängel, weswegen wir heute dem quantenmechanischen Modell den Vorzug geben. Das beschreibt die Wirklichkeit wesentlich präziser, setzt aber tiefgehende Kenntnisse der Mathematik voraus. Wir wollen im folgenden versuchen, das quantenmechanische Modell auf einer Ebene zu verstehen, die für den Praktiker hilfreich ist.

Der Übergang zur Quantentheorie

Waren die Atome Demokrits noch massiv, sind die Atome nach den neueren Theorien des Orbitalmodells eher fluffig und haben keine wirklich feste Form. Zum grundlegenden Verständnis des Orbitalmodells benötigt man folgende Gleichungen:

Die Heisenbergsche Unbestimmtheitsrelation

Ort und Impuls eines Teilchens (hier des Elektrons) können nicht gleichzeitig bestimmt sein. Somit muss das Elektron auf Abstand zum Kern sein.

$$ \sigma x \cdot \sigma p \leq \frac{\hbar}{2} $$

wobei $\hbar = \frac{h}{2\pi}$ ist. $h$ heißt Plancksches Wirkungsquantum oder Planck-Konstante und bezeichnet das Verhältnis von Energie und Frequenz eines Photons. Experimentell wurde der Wert $6.62607015 \cdot 10^{-34} J s$ ermittelt.

Da die Natur nach einem Zustand kleinster Energie strebt, müssten die negativ geladenen Elektronen in den positiv geladenen Kern hineinfallen. Damit wäre der Ort sehr genau gegeben und der Impuls dementsprechend verschmiert. Die Unbestimmtheit hält also das Elektron auf einem respektvollem Abstand zum Kern.

Die Schrödingergleichung

Sie gibt die Aufenthaltswahrscheinlichkeit von Elektronen in einem Potential an. Da der Atomkern elektrisch positiv und das Elektron, aus der Atomhülle negativ geladen ist, besteht eine Anziehungskraft und somit ein Potential. Denn je weiter außen die Elektronen sich befinden, desto höher ist ihre Energie.

In der klassischen Physik sind derartige Gleichgewichte mit dem Lagrange-Formalismus beschrieben. Die Lagrange-Funktion ist die Differenz zwischen kinetischer Energie $T$ und potenzieller Energie $V$:

$$L = T - V$$

Im Gegensatz zur Hamilton-Funktion hat die Lagrange-Funktion keine tiefere physikalische Bedeutung, mathematisch lässt sich damit aber sehr gut umgehen. Denn wir können die Bewegungsgleichungen mit Hilfe der Euler-Lagrange-Gleichung herleiten.

$$ \frac{\text{d}}{\text{d}t} \frac{\partial L}{\partial \dot{q}_i} - \frac{\partial{L}}{\partial q_i} = 0$$

Dabei sind $q_i$ generalisierte, also dem Problem angepasste Koordinaten2.

Weil die klassische Physik so viele wunderbare Techniken hat, bestimmte Problemklassen zu lösen, gibt es in der Quantenwelt, obwohl sie so völlig anders funktioniert, Entsprechungen zu den Prinzipien der klassischen Physik. Wir sprechen hier vom Korrespondenzprinzip. Als Formalismus für die Bewegung von Elektronen in einem Potenzial postulierte Erwin Schrödinger (1887-1961) die nach ihm benannte Gleichung

$$ \hbar \frac{\partial}{\partial t} \psi(t,x) = \hat{H} \psi(t,x)$$

wobei $V$ das Potenzial darstellt und $\psi$ die Wellenfunktion des Elektrons. Das Konstrukt $\hat{H}$ ist der Hamilton-Operator und folgendermaßen definiert:

$$\hat{H} = -\frac{\hbar^2}{2m} \frac{\partial^2}{\partial x^2} + V(x)$$

Operatoren in der Quantenmechanik sind Funktionen oder lineare Abbildungen, deren Eigenwerte gerade die Messwerte sind, die man experimentell ermitteln kann.

Mit diesen Gleichungen können wir die Raumabschnitte bestimmen, in denen sich die Elektronen höchstwahrscheinlich aufhalten. Diese bezeichnet man auch als Orbitale.

Das Wasserstoffatom

Das einfachste Atom ist das Wasserstoffatom. Auch wenn Wasserstoff in der Regel nicht atomar vorkommt, wollen wir ihn als einfaches Beispiel behandeln.

Für die Berechnung formulieren wir zunächst die Schrödingergleichung in Kugelkoordinaten (siehe Abbildung 1.3), wobei wir vereinfacht annehmen, dass das Atom kugelsymmetrisch ist. Wir skizzieren hier den einfachen Lösungsweg wie man mit Hilfe der Schrödingergleichung zu den Orbitalmodellen kommt. Eine ausführliche Behandlung ist in [@GRIFFITHS] gegeben.

In Kugelkoordinaten ist die Position eines Elektrons durch die Winkel $\theta$ und $\phi$ sowie dem Radius $r$ festgelegt. Die kugelsymmetrische Betrachtung im homogenen Feld erlaubt es, die Anhängigkeiten auf den Radius zu vereinfachen.

In Kugelkoordinaten ist die Position eines Elektrons durch die Winkel $\theta$ und $\phi$ sowie dem Radius $r$ festgelegt. Die kugelsymmetrische Betrachtung im homogenen Feld erlaubt es, die Anhängigkeiten auf den Radius zu vereinfachen.

Nach dem Coulomb’schen Gesetz gilt für die potentielle Energie eines Elektrons um einen einfach positiv geladenen Kern (Elementarladung $e=1,602\cdot 10^{-19} C$)

$$V(r) = -\frac{e^2}{4\pi \epsilon_0}\frac{1}{r}$$

Wir gehen davon aus, dass das Feld homogen ist und können die Schrödingergleichung auf eine Dimension reduzieren. Dann ergibt sich die so genannte Radialgleichung für verschiedene Energieniveaus

$$ \frac{\hbar^2}{2m}\frac{d^2u}{dr^2}+\left[ -\frac{e^2}{4\pi\epsilon_0}\frac{1}{r} + \frac{\hbar^2}{2m}\frac{l(l+1)}{r^2} \right]u = Eu$$

Dabei kann $l$ nur für ganze Zahlen stehen. Dies ist ein Überbleibsel aus der Herleitung der Radialgleichung mittels Legendre-Polynomen. Diese Gleichung müssen wir nun für $u(r)$ lösen und die erlaubten Energien $E$ bestimmen.

Aus den erlaubten Energieniveaus können wir eine Reihe von Phänomenen der Natur erklären. So kann bei Wechselwirkung eines Lichtteilchens (Photon) mit der Wellenlänge $\lambda$ und somit der Energie

$$E = \frac{hc}{\lambda}$$

das auf die Elektronenhülle des Atoms trifft, diese Energie auf das Elektron übertragen. Das Elektron geht dann in ein höheres Energieniveau über. Da die Natur möglichst niedrige Energiezustände anstrebt, wird das Elektron wieder in den alten Zustand zurück gehen und die Energie in Form eines Photons wieder abgeben. So lässt sich erklären, dass Metalle Licht reflektieren und Glas für sichtbares Licht transparent, für UV-Licht jedoch nicht durchlässig ist. Im Falle des Metalls wird das Photon sofort zurückgegeben, bei Glas reicht die Energie der sichtbaren Wellenlängen nicht aus, um einen Übergang zum nächsthöheren Niveau zu erreichen – das Photon durchdringt die Materie. Erst das energiereichere ultraviolette Licht ermöglicht den Übergang des Elektrons und das Photon wird reflektiert.

Legendre-Polynome

Mit den nach Adrien-Marie Legendre (1752-1833) benannten Polynome $P_n(x)$ lässt sich die Differentialgleichung

$$(1-x^2)f'' -2x f' +n(n+1)f = 0$$

lösen. Die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung ist

$$f(x) = A P_n(x) + B Q_n(x)$$

mit linear unabhängigen Funktionen $P_n(x)$ und $Q_n(x)$. Für die Legendre-Polynome gibt es mehrere Darstellungsformen, z.B. die Rodrigues-Formel:

$$P_n(x) = \frac{1}{2^n n!} \cdot \frac{d^n}{dx^n}\left((x^2-1)^n\right)$$

Die ersten Legendre-Polynome lauten demnach:

$$ P_0(x) = 1 $$ $$ P_1(x) = x $$ $$ P_2(x) = \frac{1}{2}(3x^2 - 1) $$ $$ P_3(x) = \frac{1}{2}(5x^3 - 3x) $$ $$ P_4(x) = \frac{1}{8}(35x^4 - 30x^2 +3) $$ $$ P_5(x) = \frac{1}{8}(63x^5-70x^3+15x) $$
Grafische Darstellung der ersten sechs Legendre-Polynome

Grafische Darstellung der ersten sechs Legendre-Polynome

Die Wellenfunktion gibt eine Wahrscheinlichkeit an, ein Elektron an einem bestimmten Ort anzutreffen. Die Gesamtwahrscheinlichkeit, also das Integral über die Wellenfunktion, muss gleich Eins sein. Man drückt das damit aus, dass die Wellenfunktion normiert wird.

Quantenzahlen

Die Hauptquantenzahl $n$ das Haupt-Energieniveau, zu der der Zustand des Elektrons gehört. Sie kann natürliche Zahlenwerte $n=1,2,3,\ldots$ annehmen. Die Schalen werden auch der Reihe nach mit K-, L-, M-, N-, $\ldots$ Schale bezeichnet. Elektronen in der K-Schale befinden sich im Mittel dichter am Atomkern als Elektronen in der L-Schale. L-Schalen-Elektronen wiederum sind im Mittel näher am Atomkern als M-Schalen-Elektronen usw. In der einfachsten quantenmechanischen Berechnung (Schrödingergleichung mit Coulomb-Potential) liegt das Energieniveau damit, wie oben gezeigt, schon fest:

$$E_{n}=-{\frac {me^{4}}{8\varepsilon _{0}^{2}h^{2}}}\cdot {\frac {1}{n^{2}}}=-E_{\mathrm {Ry} }{\frac {1}{n^{2}}}$$

mit der Rydberg-Energie $E_{\mathrm {Ry} }\approx 13{,}6,\mathrm {eV}$.

Die Nebenquantenzahl (auch Bahn- oder Drehimpulsquantenzahl) $l$ kennzeichnet die Form des Atomorbitals in einem Atom. Bei gegebener Hauptquantenzahl $n$ kann ihr Wert jede kleinere natürliche Zahl einschließlich der Null sein:

$$l = 0,1,2,3,\ldots < n$$

Die Magnetquantenzahl des Drehimpulses wird mit $m_l$ bezeichnet und beschreibt die räumliche Orientierung des Elektronen-Bahndrehimpulses. Sie kann betragsmäßig nicht größer als die Nebenquantenzahl $l$ sein, aber auch negative ganzzahlige Werte annehmen:

$$m_l = \frac{L_z}{\hbar} = -l, -(l-1), \ldots, -1, 0, 1, \ldots, (l-1), l$$

Sie heißt Magnetquantenzahl, weil sie die zusätzliche potentielle Energie des Elektrons charakterisiert, die bei Anlegen eines Magnetfeldes in $z$-Richtung auftritt (Zeeman-Effekt).

Die magnetische Spinquantenzahl beschreibt die Orientierung des Elektronenspins zur $z$-Achse:

$$m_s = \pm \frac{1}{2}$$

Pauli-Prinzip

Wie wir im vorigen Abschnitt gesehen haben, folgen die Energiezustände $E_n$ des Wasserstoffatoms der einfachen Beziehung

$$E_n = -\frac{E_{\mathrm{Ry}}}{n^2}$$

Dabei heißt $n$ die Hauptquantenzahl. Werte für die Nebenquantenzahlen werden aus historischen Gründen mit Buchstaben bezeichnet. So heißt ein Elektron mit Bahnimpuls $l=0$ $s$-Elektron, mit $l=1$ $p$-Elektron, mit $l=2$ $d$-Elektron und mit $l=3$ $f$-Elektron.

Nun ist der Zustand eines einzelnen Elektrons durch die vier Quantenzahlen, $n$, $l$, $m_l$ und $m_s$ gegeben. Das Pauli-Prinzip sagt nun aus, dass kein Elektron mit einem anderen in allen vier Quantenzahlen übereinstimmen darf.

Blicken wir nun in das Periodensystem: In der ersten Zeile stehen nur Wasserstoff () und Helium () mit Hauptquantenzahl $n=1$, womit $l=0$ und $m_l=0$ festgelegt sind. Das bedeutet, dass es nur noch eine Unterscheidung der Elektronen im Spin $m_s=\frac{1}{2}$ oder $m_s=-\frac{1}{2}$ geben kann. Mit den oben eingeführten Abkürzungen bezeichnen wir die Elektronenkonfiguration im Wasserstoff mit $1s^1$ und die im Helium als $1s^2$. Dabei stehen die Hochzahlen für die Anzahl der Elektronen im jeweiligen Zustand.

In der zweiten Zeile gilt $n=2$, damit kann $l=0$ oder $l=1$ sein. Für den ersten Fall ist $m=0$, im zweiten $m={-1,0,1}$. Für $m_s$ bleiben immer nur die zwei Möglichkeiten $\pm\frac{1}{2}$. Das sind also insgesamt acht mögliche Zustände, weshalb es in dieser Zeile acht Elemente gibt (von Lithium () bis Neon ()). Neon hätte die Konfiguration $1s^22s^22p^6$.

Zusammenfassung

Die Quantentheorie gilt nicht zu Unrecht als schwierig. Während wir einfachste Zusammenhänge wie im Wasserstoffatom mit Schulmathematik noch nachvollziehen können, sind kompliziertere Atome nicht mehr analytisch lösbar, da dort kein homogenes Feld mehr vorliegt, sondern die Abstoßung der Elektronen untereinander zu berücksichtigen ist. Spätestens die Heisenbergsche Matrizenmechanik erfordert vertiefte Erkenntnisse in Linearer Algebra. Für den Chemiker, der sich fast ausschließlich mit der äußeren Elektronenhülle (Valenzelektronen) beschäftigt, ist dieses Verständnis weder erforderlich noch hilfreich. Dennoch sollten wir uns mit dem Orbitalmodell arrangieren und gedanklich vom Bohrschen Atommodell, mit dem wir uns wahrscheinlich in der Schule beschäftigt haben, lösen.

Konstanten

Für die Berechnungen sind einige Konstanten definiert, die sich in Tabellenbüchern wie [@STOCKER] finden lassen. Wir listen hier noch einmal die oben verwendeten auf.

BezeichnungFormelzeichenWert
Elektrische Elementarladung$e$$1.602176634\cdot 10^{-19}~C$
Plancksches Wirkungsquantum$\hbar$$6.62607015\cdot 10^{-34}~J~s$
Elektrische Feldkonstante$\epsilon_0$$8.8541878128\cdot 10^{-12}~A~s ~V^{-1}~m^{-1}$
Lichtgeschwindigkeit$c$$299.792.458~m~s^{-1}$

  1. Vor allem mit Heliumkernen, Elektronen und Röntgenstrahlung, die traditionell auch als $\alpha$-, $\beta$- und $\gamma$-Strahlung bezeichnet werden. ↩︎

  2. Meist werden diese Koordinaten mit Zwangsbedingungen gekoppelt. Ein einfaches Beispiel wäre ein Pendel, das in einem Schwerefeld schwingt. Die einzige Koordinate wäre dann der Winkel des Pendelausschlags von der Ruhelage. ↩︎